Spielzeugfreier Kindergarten

In unserem Kindergarten wird das Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ jährlich zwischen Jänner und März im gesamten Haus durchgeführt. Es ist unserem Team eine Herzensangelegenheit, da es für die Kinder und für uns immer wieder eine große Bereicherung ist.

Wichtig dabei ist uns die gute Zusammenarbeit mit den Eltern und die Information über unsere Beweggründe. Wir laden Sie dazu ein, nachfolgende „häufige Fragen“ und die Antworten darauf nachzulesen.

 

WOHER KOMMT`S?

Das Projekt wurde 1992 in Bayern aus einem Arbeitskreis zur Suchtprävention  entwickelt und in der Folge auch durch wissenschaftliche Studien begleitet. Die WHO (Welt-Gesundheits-Organisation) bestätigt die positive Auswirkung auf die Entwicklung der Kinder. Seit ca. 2000 etablierte Martina Augustin in  Scharnstein den Spielzeugfreien Kindergarten. Immer mehr Kolleginnen schlossen sich an, bis wir letztendlich seit 2010 beim Land Oberösterreich den gesamten Kindergarten zum Projekt anmelden und auch genehmigt bekommen.

 

WAS BLEIBT?

Weggeräumt werden alle vorgefertigten Spielsachen. Auch Scheren, Stifte, Bücher… Neu hinzu  kommen Decken, Schachteln, Tücher, Polster… Wenn Kinder etwas brauchen, z.B. Stifte, um die Schachtel als Piratenboot zu bemalen, dann bekommen sie diese auf Anfrage. Auch Möbel dürfen zum Spielen, Höhle bauen, balancieren… verwendet werden. Gemeinsam achten wir darauf, dass nichts kaputt wird, und dass sich niemand verletzt.

 

KANN DENN SPIELZEUG SÜNDE SEIN?

Zeug zum Spielen ist für die Kinder sicher wichtig, kann die Kreativität fördern und gehört selbstverständlich zu ihrer Lebenswelt. Eine Überhäufung mit Spielzeug, Konsumgütern und Freizeitangeboten kann aber auch dazu führen, dass Kinder zu wenig Gelegenheit haben, „zu sich zu kommen“, ihre eigenen Bedürfnisse zu spüren, ihre eigenen Ideen und Phantasien zu entwickeln. Das Projekt richtet sich also nicht gegen Spielzeug. Die Herausnahme des Spielzeugs und der Spielangebote von Erwachsenen für einen begrenzten Zeitraum ist eine Methode, eine Situation zu schaffen, in der Kinder Erfahrungen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen machen können, in der sie sich im geschützten Rahmen des Kindergartens „ausprobieren“ können.

 

SUCHTPRÄVENTION IM KINDERGARTEN?

Das Projekt kann Kindern einen Zeit-Raum und Spiel-Raum schaffen, ihre Möglichkeiten und Grenzen zu erproben. Da in dieser Zeit die Aktivitäten und Situationen konsequent von den Kindern ausgehen, können sie die Funktion bestimmter „Lebenskompetenzen“ (z.B. Umgang mit Sprache, Beziehungsfähigkeit, Wahrnehmung persönlicher Bedürfnisse, Entwicklung von Selbstvertrauen…) als sinnvoll erleben und weiterentwickeln. Dazu gehört es auch, einmal zu erleben, dass man Fehler macht, dass man auch einmal Frustration aushalten muss, ohne dass diese gleich von Erwachsenen ausgeglichen wird.

Menschen, die mit ihren Stärken und Schwächen umgehen können und die Handlungsalternativen entwickeln können, sind deutlich weniger suchtgefährdet als Menschen, die das nicht lernen konnten.

 

GIBT ES WÄHREND DES PROJEKTES DANN KEINE EINSCHRÄNKUNGEN?

Regeln und Grenzen sind zum Zusammenleben unerlässlich, geben Struktur und Sicherheit. Auch in der Spielzeugfreien Zeit fallen diese nicht weg. Wichtig ist aber, dass auch den Kindern die Gelegenheit gegeben wird, aus Situationen heraus Regeln und Grenzen selbst zu setzen, da sie dann deren Sinn besser erfassen. Genauso, wie sie lernen müssen, die Konsequenz bei Nichteinhaltung zu tragen.

 

WAS SOLL ZUHAUSE GEMACHT WERDEN?

Der Kindergarten und das Zuhause sind zwei verschiedene Lebenswelten mit unterschiedlichsten Rahmenbedingungen. Es liegt also an den Eltern, wie weit sie auf die Wünsche der Kinder zuhause eingehen. Manche wollen ebenfalls „Spielzeugfrei“, andere möchten gar nichts ändern. Wichtig ist, dass die Eltern klar in ihren Wünschen und Regeln sind und diese den Kindern auch vermitteln.

 

KÖNNEN DIE KINDER VON ZUHAUSE SPIELZEUG MITBRINGEN?

Während des Projektes sollten die Kinder kein vorgefertigtes Spielzeug von daheim mitbringen. Die Kinder können aber Materialien und Werkzeug mitbringen. Auch diese Initiative sollte von den Kindern und nicht von den Erwachsenen ausgehen.

 

KOMMT DIE SCHULFÖRDERUNG IN DIESER ZEIT NICHT ZU KURZ?

In der Schule werden keine fertig ausgebildeten Kinder erwartet, sondern Kinder, die mit der neuen Situation zurechtkommen. So gesehen, ist dieses Projekt sogar eine sehr wertvolle Ergänzung zur herkömmlichen Schulvorbereitung, die auch in dieser Zeit weitergeführt wird.

Schulfähigkeit ist nicht nur Stifthaltung, schneiden, kleben, Name schreiben und Zahlen kennen. Schulfähigkeit ist zusätzlich auch Frustrationstoleranz, Eigeninitiative, Konfliktfähigkeit, Mitteilungsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbständigkeit…

Ohne diese elementaren Fähigkeiten und eine altersgemäße soziale Kompetenz kann ein Kind im Schulalltag nur schwer bestehen, auch für das weitere Leben sind sie von entscheidender Bedeutung.

 

WAS IST, WENN ES MEINEM KIND LANGWEILIG IST?

Langeweile auch einmal auszuhalten, ist durchaus im Sinne des Projektes. Kinder sollen ja lernen, aus der Unzufriedenheit mit einer Situation heraus, Lösungen selbständig zu entwickeln und nicht durch Ersatzangebote der Situation auszuweichen. Dies können Kinder jedoch nicht lernen, wenn Erwachsene bei jedem Anzeichen von Langeweile bei Kindern sofort mit Unterhaltungs- oder Spiel- oder Handyangeboten eingreifen. Auch im späteren Leben ist nicht immer jemand da, der uns sofort Frustration aus dem Weg räumt.

Muße, Lange-Weile, Nichts-Tun, Nicht-Funktionieren sind notwendige Pausen, nach denen wir Erwachsene uns oft genug sehen. Wir sollten unseren Kindern die Gelegenheit geben, diese lebenswichtigen Bedürfnisse zu erfahren.

 

WAS MACHT DIE ERZIEHERIN WÄHREND DES PROJEKTES?

Ständig wechselnde Situationen und neue Anforderungen der Kinder erfordern viel Aufmerksamkeit und pädagogisches Geschick. Während der Projektphase ist von den Erwachsenen gefordert, sich selbst z.B. bei Spielangeboten und Problemlösungen zurückzuhalten, ohne jedoch wichtige Regeln des Zusammenlebens und der Aufsicht zu verletzen. Dies erfordert eine permanente Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen ebenso wie mit denen der Kinder.  Selbstreflexion und Teamgespräche sind in dieser Zeit wichtiger denn je.

Ein wichtiger Teil ist die intensive (verschriftlichte) Beobachtung der Kinder. Dies ist eine Bereicherung in den Beziehungen, da man die Kinder  noch besser in ihrer Eigenart kennenlernt und man ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Es ist aber auch eine Basis für Elterngespräche und weiterführende Fördermaßnahmen.

Die Dokumentation wird auch den Eltern zugänglich gemacht.